Angesichts weiter bestehender Corona-Risiken nimmt der Bund die Länder für einen vorsichtigen Öffnungskurs in den Frühling in die Pflicht. Eine Lockerungsstrategie wie in anderen europäischen Ländern schließt der Minister kategorisch aus und nennt Gründe.
Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) appellierte am Freitag an alle Ministerpräsidenten, nicht über den beschlossenen "maßvollen" Stufenplan hinauszugehen. "Das ist das Maximum, was wir uns an Lockerungen leisten können." Es gehe nicht um das Ende aller Maßnahmen, sondern einen langsamen Ausstieg aus den Einschränkungen. Rückfälle seien jederzeit möglich. Laut Robert-Koch-Institut (RKI) ist in den Krankenhäusern der Höhepunkt der Belastungen noch nicht überschritten. Im Blick steht auch weiterer Schutz in den Schulen.
Deutschland habe die Omikron-Welle "einigermaßen gut gemeistert", sagte Lauterbach. Die Entwicklung sei aber "noch nicht wirklich in sicheren Gewässern". Er verwies auf den weiterhin hohen Anteil Ungeimpfter bei gefährdeten Menschen über 60 Jahre. RKI-Vizepräsident Lars Schaade erläuterte: "Unsere Daten deuten darauf hin, dass der Höhepunkt der Omikron-Welle überschritten ist." Der Scheitelpunkt für die Intensivstationen sei aber noch nicht erreicht. Zudem nehme der Anteil des wohl noch leichter übertragbaren Omikron-Untertyps BA.2 in Deutschland zu. Setze er sich weiter durch, sei nicht auszuschließen, "dass die Fallzahlen langsamer sinken oder auch wieder ansteigen". Die 7-Tage-Inzidenz in Deutschland sinkt seit einigen Tagen, zuletzt auf 1371,7 Infektionen je 100.000 Einwohner.
Lauterbach appellierte mit Blick auf die Bund-Länder-Beschlüsse an die Ministerpräsidenten: "Wir müssen das umsetzen wie ein Uhrwerk." Es wäre falsch, wenn man sich nun als jemand zu profilieren versuchte, der besonders schnell lockere. "Das ist alles auf Kante genäht." Nicht verwirren lassen solle man sich durch Rufe nach großen Öffnungen wie in Dänemark oder England. So eine Lockerungsstrategie "verbietet sich für uns", sagte der Minister. Deutschland habe drei- bis vier Mal so viele ältere Ungeimpfte wie diese Staaten.
Seit dem 27. Januar sind in England nahezu alle Corona-Maßnahmen weggefallen. Das Land hat sich von Maskenpflicht in Innenräumen, der Homeoffice-Empfehlung oder Sperrstunden in der Gastronomie verabschiedet. Auch das Nachtleben nimmt wieder Fahrt auf, der Gesundheitspass muss hier nicht mehr vorgezeigt werden.
Seit dem 11. Februar entfällt zudem für vollständig Geimpfte die Testpflicht bei Einreise. Für alle anderen gilt bei Einreise: Zuvor muss ein Coronatest absolviert werden, nach der Einreise ist ein PCR-Test spätestens am zweiten Tag notwendig. Die Quarantäne entfällt, sofern der Test negativ ist. Für England ist es bereits der zweite "Freedom Day". Schon im Juli vergangenen Jahres hatte Englands Premierminister Boris Johnson sämtliche Corona-Maßnahmen aufgehoben. Mit der aufkommenden Omikron-Welle wurden wieder einige Maßnahmen eingeführt. Als Begründung für die Lockerungen nannte die Regierung die erfolgreiche Impfkampagne – den Booster haben inzwischen 56,5 Prozent der Bevölkerung erhalten (Stand: 16. Februar). Vollständig geimpft sind 73,2 Prozent und mindestens eine Impfdosis haben 78,9 Prozent der Bevölkerung erhalten.
Die Entscheidung, trotz steigender Fallzahlen die Maßnahmen aufzuheben, sorgte für Aufsehen. Doch Politikwissenschaftler und Regierungsberater Michael Bang Petersen erläuterte dem ARD-faktenfinder: "Wir haben eine sehr gute Gesundheitsdatenbank und wir sehen, dass das Zusammentreffen von Omikron und einer weitgehend geimpften Bevölkerung die Lage einfach verändert hat. Wir haben hohe Fallzahlen, ja, aber wir haben einfach keine hohe Krankheitslast mehr." Wenn es keine akute Gefährdung der Bevölkerung mehr gebe, sei die Gesetzeslage eindeutig. Der Staat habe die Verantwortung zum Schutz der Bürgerinnen und Bürger an eben diese zurückgegeben, so wie es das Gesetz vorschreibe, so Petersen.
Auf England und Dänemark folgte Schweden und kündigte das Ende sämtlicher Corona-Maßnahmen an. Das Land, das die gesamte Pandemie über ohne Lockdown auskam, feierte vergangene Woche ausgiebig den Wegfall der ohnehin vergleichsweise milden Einschränkungen. Außer den genannten Ländern ziehen fast täglich weitere nach und verabschieden sich von strikten Maßnahmen – etwa Nordirland, die Niederlande und zuletzt die Schweiz und Österreich.