KOLUMNE VON CARSTEN K. RATH: Was kommt nach dem Fachkräftemangel?

Die nächste Krise

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Carsten K. Rath: "Die Initiative für mehr Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen muss vor allem aus den Unternehmen kommen – was der Staat hier anbieten kann, ist zu wenig und kommt zu spät"
Carsten K. Rath: "Die Initiative für mehr Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen muss vor allem aus den Unternehmen kommen – was der Staat hier anbieten kann, ist zu wenig und kommt zu spät"

Aufgrund der Digitalisierung werden Hunderttausende von Arbeitsplätzen zur Disposition stehen - ein riesiges Reservoir von Arbeitskräften für die Hotellerie, findet Kolumnist Carsten K. Rath.

Alle machen sich Sorgen über den Fachkräftemangel. Allerdings stellt die Digitalisierung uns übermorgen vor ganz andere Probleme: Wann denken wir über den Fachkräfte-Überschuss nach, der in einigen Jahren das Land und auch den Service-Sektor auf links krempeln wird? Wenn in anderen Bereichen die Maschinen und Algorithmen übernehmen, brauchen die Menschen neue Arbeit – und zwar vor allem im Service. Und auf diese Chance ist keiner von uns ausreichend vorbereitet.

In den Fußnoten des Wirtschaftsteils deutet sich schon jetzt an, was auf uns zurollt: In den nächsten Jahren werden in den größten deutschen Konzernen Hunderttausende von Arbeitsplätzen aufgrund der Digitalisierung zur Disposition stehen. VW bringt schon jetzt, im Windschatten des Diesel-Skandals, 100.000 Entlassungen ins Spiel. Bei Siemens sind aktuell bereits 20.000 Jobs in Gefahr. Und die Automatisierung wird vielleicht für einen gewissen Zeitraum, nicht aber auf lange Sicht genügend neue Arbeitsplätze schaffen. Danach wird die Zukunft für viele Menschen jedenfalls nicht in ihren angestammten Branchen liegen. Und wir könnten davon profitieren.

Denn: Wohin mit all den überschüssigen, dann fehlqualifizierten Arbeitskräften, wenn der digitale Wandel am Arbeitsmarkt erst einmal so richtig greift? Das ist der Job der Führenden und Branchenverbände: Heute Lösungen finden, um das Morgen zu gestalten. Die Hotellerie wird durch diesen Wandel Zugriff auf ein riesiges Reservoir hochgebildeter Arbeitskräfte bekommen, die das Arbeitsfeld Service neu für sich entdecken. Diese Chance gilt es zu nutzen, denn auch andere Unternehmen werden die High Performer unter ihnen für sich beanspruchen.

Service ist ein knallharter Wirtschaftsfaktor, und die Nachfrage nach qualifizierten Profis wird steigen. Wenn wir jetzt die richtigen Maßnahmen ergreifen, könnten wir uns nicht nur als First Mover einen Vorsprung am gesamten Arbeitsmarkt verschaffen. Wir könnten auch dem System einen existenzbedrohenden Einbruch ersparen, der die ohnehin schon schwierige gesellschaftliche Stimmung und den Einfluss der Rand-Parteien weiter verschärfen könnte. Wir täten also nicht nur uns selbst als Führenden und unseren Unternehmen einen Gefallen, wenn wir jetzt an morgen denken – wir würden damit auch unserer unternehmerischen Verantwortung gerecht.

Die größte Herausforderung wird dabei der Flaschenhals Qualifikation sein: Wie begeistern wir erstens all die Arbeitskräfte, die durch die Automatisierung und Digitalisierung auf den Markt gespült werden, für das Arbeitsfeld Hotellerie und Gastronomie? Wie bekommen wir sie zweitens angemessen qualifiziert? Und wie können wir sie drittens vor allem für Service begeistern? Die Initiative für mehr Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen muss vor allem aus den Unternehmen kommen – was der Staat hier anbieten kann, ist zu wenig und kommt zu spät.

Wir wären selbst schuld, wenn wir das riesige Potenzial nicht anzapfen, dass der Arbeitsmarkt uns bereits in einigen Jahren zur Verfügung stellen wird, weil wir wieder einmal nicht rechtzeitig reagiert haben. Die Weichen dafür, wer am meisten vom Wandel am Arbeitsmarkt profitiert, werden heute gestellt. Vergessen wir also vor lauter Mikromanagement im Hier und Jetzt nicht die Visionen zu entwickeln, die das Morgen gestalten.
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