Gastbeitrag

Axel Deitermann: "Das Gastgewerbe als Wellenbrecher?"

Unternehmen
Axel Deitermann: "Es gibt keinerlei Hinweise darauf, dass unsere Branche wesentlich zur Ausbreitung des Virus beigetragen hat"
Axel Deitermann: "Es gibt keinerlei Hinweise darauf, dass unsere Branche wesentlich zur Ausbreitung des Virus beigetragen hat"

Der Hotelberater über den November-Lockdown, eine Politik mit zu wenig Augenmaß und die Kraft der gastlichen Branche.

Nach zehn Jahren Wachstum ist die Gastronomie und Hotellerie unverschuldet in ihre schwerste Krise seit Bestehen der Bundesrepublik geraten. Nach Jahren, die geprägt waren von Innovation, Investition und Schaffung neuer Arbeitsplätze erfolgt nun ein Rückschlag mit immensen Auswirkungen.

Nicht genug, dass die Branche im Frühjahr eine faktische Zwangsschließung erdulden musste, schickt uns die Bundesregierung erneut in die angeordnete Zwangspause. Ich erlebe eine nie dagewesene Frustration bei vielen unserer Kunden, die sich mit viel Fantasie und Ideenreichtum den Vorgaben der Politik gestellt und in der Folge sehr wirksame Maßnahmen zum Schutz der Gäste und der Mitarbeiter entwickelt haben. Nun sollen wir maßgeblich als Wellenbrecher für die zweite Pandemie-Welle dienen – was der Branche die Möglichkeit zur Weiterarbeit entzieht. Eine Aufgabenstellung an uns, die fatal an die Aufgabe erinnert, den Müll zu beseitigen, den mir der liebe Nachbar vor die Tür gelegt hat.

Highlife beim Shoppen, volle Busse und Bahnen

Es gibt keinerlei Hinweise darauf, dass unsere Branche wesentlich zur Ausbreitung des Virus beigetragen hat. Ich will auch überhaupt nicht den Eindruck erwecken, dass wir die Gefahr der zweiten Welle nicht erkennen. Ich will aber gerne die Sinnhaftigkeit einer Maßnahme hinterfragen, die es erlaubt, zum Teil dicht gedrängt am öffentlichen Leben teilzunehmen, etwa bei der Nutzung des ÖPNV oder in Shopping Malls. Auf der anderen Seite werden indessen das Verantwortungsbewusstsein der Branche und die konsequente Umsetzung der Hygienevorschriften infrage gestellt.

Dass Hotellerie und Gastronomie beim Aspekt Virusverbreitung in den Fokus gerückt sind, hat jedenfalls gravierende Auswirkungen. Über Jahre ist es uns gelungen, durch engagierte Gastgeber und Mitarbeiter, durch attraktive neue Konzepte, durch eine lockere und oftmals exzellente Dienstleistung, das Image der Branche deutlich zu verbessern. Vorrangig bei unseren Gästen, natürlich aber auch bei potenziellen Mitarbeitern und nicht zuletzt bei Investoren und Banken. Dies wird nun durch die harten und teilweise unkoordinierten Maßnahmen der Politik infrage gestellt. Ich frage mich ständig, was können wir tun? Eine Antwort ist sicher: Die Branche muss noch lauter, noch vehementer ihre Stimme erheben – und wir müssen unsere Branchenvertreter noch intensiver bei der Vertretung unserer Interessen unterstützen. Auch geht es darum, weiter daran zu arbeiten, ein zeitgemäßes und breitgefächertes Angebot für Freizeit- und Geschäftstourismus durch ständige Innovationen und Weiterentwicklungen sicherzustellen.

Harte und teils unkoordinierte Maßnahmen

Gastronomie und Hotellerie sind ein wichtiger und toller Imageträger für unser Land, ein wichtiger Baustein für internationale Wirtschaftsverbindungen, ein Anbieter von Räumlichkeiten für Kongresse und Veranstaltungen mit internationaler Ausrichtung – und im Kleinen ein Raum, der Menschen zum persönlichen Austausch und zur Geselligkeit zusammenbringt. In Frankreich zählt unsere Branche zum Kulturgut, bei uns wird sie von manch politisch Verantwortlichen mit dem unsäglichen Ausdruck der „Mövenpicksteuer“ in Verbindung gebracht.

Auch wenn es derzeit „in“ ist, alles infrage zu stellen, so gibt es dennoch Fakten, die sich nicht leugnen lassen. Fakt ist, dass wir in einer tollen Branche mit tollen Angeboten von Menschen für Menschen aktiv sind – und dass der Wille zum Beisammensein und zum Kontakt mit unseren Lieben, unseren Freunden, unseren Geschäftspartnern in unseren Genen steckt. Fakt ist, dass sich die Branche den Anforderungen zur Bewältigung der Pandemie gestellt hat und so ihrer gesellschaftlichen Verantwortung in dieser schweren Zeit bewusst und engagiert gerecht wird. Ich glaube fest, dass unsere Branche nach der Krise wieder zu dem werden wird, was sie schon immer war, ein Treffpunkt zum Austausch, zur Geschäftsanbahnung oder -abwicklung, zur Geselligkeit, zum Reisen, zum Kennenlernen anderer Kulturen oder einfach nur zum Genießen des Lebens.

Natürlich werden wir Wunden lecken – und natürlich werden wir neues Vertrauen bei Investoren finden müssen, aber wenn wir uns auf unsere Stärken besinnen, so sollte uns das auch gelingen. Wir alle können sehen, wohin uns Starrsinn und Ignoranz führen. Wir sollten offen und transparent, lebensbejahend und tolerant, zukunftsorientiert und innovativ sein. Dann mache ich mir um die Zukunft unserer Branche nicht allzu viele Sorgen.

Lebensfreude und Weltoffenheit

Zurück zum Wellenbrecher. Ich glaube, die Politik überschätzt in der Individualität der tausendfach unterschiedlichen Angebote unseren Einfluss auf den Verlauf der Pandemie und vergisst, was in unserer Branche bereits an kreativen Maßnahmen ergriffen wurde, um unseren Gästen die Möglichkeit zu geben, sicher und gesichert ein Stück Lebensfreude auch in schwierigen Zeiten zu genießen. Nicht Frustration durch Schließung, sondern Freude an derzeit leider eingeschränkten sozialen Kontakten mit Abstand und bei Einhaltung der Regeln in einer weltoffenen und für das Wohlbefinden der Menschen so wichtigen und zugänglichen Branche, das wünsche ich mir.




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